Richard Wagner und die Gräber der Familie in Leipzig – Ein Beitrag von Alfred E. Otto Paul

Seit Jahren hat sich die Wagner - Welt gerüstet für das Jahr 2013, das gleich in zweierlei Hinsicht zu einer Fanfaronade des Wagnerkultes werden sollte.
Einmal wollte man des einhundertdreißigsten Todestages des Meisters gedenken - gewichtiger und erfreulicher aber war den Wagner-Jüngern wohl das zweihundertste Jubiläum des Tages seiner Geburt in Leipzig.
Deshalb verkündete man in Leipzig stolz, wenngleich ohne jede kritische Betrachtung historischer Gesamtzusammenhänge, das Postulat „Richard ist Leipziger“ und während der eben geendeten „Richard - Wagner - Festtage der Stadt Leipzig“ hat man inmitten eines internationalen Wagner-Kongresses, einer Richard-Wagner-Gala und musikalischer Wagner – Aufführungen endlich auch das bereits vor einem ganzen Säculum geplante Denkmal nun auf den Sockel gehoben, den einst der große Max Klinger hierfür schuf und der sich nun künftig in einer eigenartigen künstlerischen Symbiose mit einem Werk von Stefan Balkenhol präsentiert.

Den zahlreichen Gräbern der Wagner-Familie in Leipzig aber wollte man keinerlei Beachtung schenken. Zwar hat man einen in der V. Abteilung des Alten Johannisfriedhofes befindlichen, nicht authentischen Denkstein, der inschriftlich an Wagners Mutter Johanne und seine Schwester Rosalie erinnert, vorab mit halben Herzen „restauriert“ und in Ermangelung von Grabhügeln auf diesen Kenotaphen auch einige Topfpflanzen abgestellt, aber eine andächtige Minute hat es an diesem Orte nicht gegeben.
Sicher hatten die Wagnerianer ihre guten Gründe, in Vorbereitung der diesjährigen opulenten Wagnerfeiern die Gräber der Wagner – Familie nicht in den Fokus ihrer besonderen Betrachtungen mit einzubeziehen, weil es gar zu schwierig wäre gewesen, diese zahlreichen und nicht mehr existenten Gräber heutzutage ausfindig zu machen und gleichermaßen zu erklären, warum es diese Gräber seit ewigen Zeiten nicht mehr gibt.

Immerhin wurden auf dem bereits im Jahre 1278 geweihten altehrwürdigen Alten Johannisfriedhof neben den Großeltern ( väterlicherseits ) auch Vater und Mutter von Richard Wagner beerdigt.
Ebenso liegen hier Richard Wagners Bruder Carl Gustav sowie seine beiden Schwestern Marie Theresia und Johanne Rosalie zur letzten Ruhe.
Aber es sind dies beileibe nicht die einzigen engen Verwandten von Richard Wagner, die in Leipzigs Erde ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.
Richards Schwester Ottilie, nur wenige Wochen nach ihm gestorben, wurde im Grabe ihres Gatten Hermann Brockhaus beerdigt, der als Wagners Schwager immerhin in seiner akademischen Laufbahn auch als Rektor der Alma Mater Lipsiensis in die Annalen dieser altehrwürdigen Universität einging.
Es ruhen weiter in hiesiger Erde, die man zu DDR-Zeiten geschichtsvergessen mitunter auch säkularisiert hat, Neffen und zahlreiche anverwandte Glieder der Wagner-Familie.

Gräber sind wichtige Zeugnisse unserer eigenen kulturellen Identität – wenn dem heutzutage so nicht mehr sein soll, so würden unsere europäischen Friedhöfe verkommen zu simplen Orten der Entsorgung entseelter Körper oder der Aschen verbrannter Leichname.
Und genau aus diesem kulturgeschichtlichen Ansatz will der Autor hier konkreter auf die Leipziger Gräber der Familie Wagner eingehen, jedoch ohne – aus Raumgründen - die biografischen Hintergründe der Verstorbenen hier genauer anzuführen.
Richard Wagners Großvater väterlicherseits, Gottlob Friedrich Wagner, hatte an der Leipziger Universität studiert, heiratete 1769 in der Kirche von Schönefeld Johanne Sophie Eichel, die Tochter eines Leipziger Schulhalters.
Dieser Großvater Gottlob Friedrich Wagner starb im Alter von 59 Jahren als „General-Akzise-Thorschreiber“ am Sonnabend, den 21. März 1795 in seiner Wohnung am Ranstädter Tor und wurde „in der Woche Judica“ am 24. März 1795 auf dem Alten Johannisfriedhof beerdigt, der bis 1846 übrigens der einzige Friedhof dieser Stadt war.

Richard Wagners Bruder Carl Gustav, nach dem 1799 geborenen Kind Albert das zweitgeborene Kind von Wagners Eltern, starb bereits nach sieben Monaten am 29. März 1802 – allerdings ist das zweifellos in Leipzig erfolgte Begräbnis dieser Kindsleiche in den Leichenbüchern überhaupt nicht vermerkt.

Zu Tod und Begräbnis von Richard Wagners Vater kann weder Richard Wagner selbst in seinen nachgelassenen autobiografischen Schriften zuverlässig berichten noch sind andere denkbaren Quellen hier hilfreich.
So hat auf konkrete Anfrage der Autor die Auskunft erhalten, dass auch die Wagnerforschung hierüber nichts zu berichten weiß und auch der Grabesort von Richard Wagners Vater heute absolut unbekannt ist.
Richard Wagner selbst, der in seinen Lebenserinnerungen seine eigene Taufe zwei Tage nach seiner Geburt datiert – sie fand ein knappes Vierteljahr später, am 16. August in der Thomaskirche statt – irrt auch deutlich beim Todesdatum seines Vaters, der angeblich im Oktober 1813 gestorben ist.
Tatsächlich aber ist Carl Friedrich Wilhelm Wagner am 23. November 1813 wegen einer Typhuserkrankung gestorben und am 25. November 1813 beerdigt worden.
Ein Eintrag in einem im Stadtarchiv Leipzig befindlichen Gräberbuch des Leipziger Alten Johannisfriedhofes beschreibt recht genau die Topografie des Grabes von Wagners Vater.
Darin heißt es:
„Wagner, ein Mann 41 Friedrich Wilhelm Wagner Actuar beim Königl.-Sächs. Polizeyamt im Brühl.
Ein Doppelgrab auf dem Gottesacker 4 in Littra C das 26. Grab.
Begraben d. 25. November 1813 vom 2 ten Pfahl von 57 Ellen bis nach des Hauptes Grab.
Ist am 19. Oct. 1829 neu gemacht.“ Es findet sich der Hinweis „kl. ½“, der uns die Qualität dieses Begräbnisses definiert – es war ein bescheidenes Begräbnis, ohne größeres Ritual wie es bei der „Großen Halben Schule“ oder
bei der „Ganzen Schule“ üblich war.
Abgesehen, dass das Alter des Verstorbenen nicht korrekt vermerkt ist – er wurde 43 Jahre alt – haben wir aber hier eine zuverlässige Aussage zum Grabesort, der sich unter Zuziehung anderer im Stadtarchiv verwahrten Archivalien annähernd genau bestimmen lässt.
Wagners Vater ist in einem Reihengrab beerdigt worden, nur wenige Meter von der Grabstätte Sickel entfernt, in der gut drei Jahre zuvor, am 23. Mai 1810, Anna Katharina Kanne, bekannt als Goethes „erstes Mägde“ Käthchen Schönkopf, ihre letzte Ruhestätte gefunden hatte.
Obwohl bereits am 19. Oktober 1829 das Grab neu belegt wurde, dürften sich noch heute in diesem Grabe auch die Gebeine des Wagner-Vaters befinden.

Nur wenige Wochen später starb am 19. Januar 1814 abends 8 Uhr „Ein Mädchen 5 Jahre Marie Theresia, Herrn Carl Wilhelm Wagners Polizey Actuarii hinterlassene Tochter im Brühl …“, eine Schwester Richard Wagners.

Genau eine Woche nach dem Tode dieses Mädchens stirbt am 26. Januar 1814 Richard Wagners Großmutter väterlicherseits, Johanne Sophie Wagner geb. Eichelin, im Alter von 66 Jahren und wird zwei Tage später in ihr Grab gesenkt.

Als im Jahre 1837 am „12.October nachmittags 5 Uhr“ Richard Wagners liebste Schwester Rosalie Marbach geb. Wagner fünf Tage nach der Geburt ihres erstgeborenen Kindes starb, war er weit weg und konnte am Begräbnis nicht teilnehmen.
Im Leichenbuch findet sich der Vermerk „eine Wöchnerin 33 Jahre“ und ihr Begräbnis ist auf „den 15. October“ datiert.

Wenige Jahre später starb 1848 in Leipzig „in der Salomonstraße No.6 den 9. Januar früh ¾ 10 Uhr“ Richard Wagners Mutter Johanne Rosine. Nach Erhalt der Todesnachricht eilte Wagner von Dresden nach Leipzig und nahm Abschied von der im Sterbehause aufgebahrten Mutter, deren wunderbar ruhiger und lieblicher Gesichtsausdruck ihn in seinem Leid tröstete. Am bitterkalten Morgen des 12. Januar 1848 erlebt Richard Wagner schockierend am Grabe seiner Mutter, wie bei der Beerdigung das dumpfe Poltern der auf dem Sarg fallenden gefrorenen Erdklumpen den ewigen Abschied von der Mutter verkünden.
Sie wird in der V. Abteilung des Alten Johannisfriedhofes beerdigt, unmittelbar links neben ihrer vorverstorbenen Tochter.

Weder das Grab von Wagners Schwester Rosalie noch das Grab seiner Mutter Johanne Rosine haben jemals einen Denkstein erhalten. In der 1844 erschienenen Publikation von Heinrich Heinlein zu den Grabinschriften des Alten Johannisfriedhofes findet sich kein Hinweis auf einen Denkstein für Rosalie noch zeigen die später gemachten fotografischen Aufnahmen von den efeubewachsenen Grabhügeln einen Grabstein oder eine Schriftplatte. Auch in der 1907 erschienenen Publikation „Der Alte Johannisfriedhof in Leipzig“ von Paul Benndorf gibt es keinerlei diesbezügliche Verweise und erst in der gleichnamigen Publikation von Benndorf aus dem Jahre 1922 finden wir eine Erklärung zum heute bekannten Grabstein für Wagners Mutter und deren Tochter Rosalie.
Benndorf berichtet, dass der heute bekannte Grabstein im Jahre 1910 – also 27 Jahre nach Richard Wagners Tod – im Auftrag der 1837 geborenen Tochter von Rosalie Marbach geb. Wagner mit Namen Margarete Johanna Rosalie Frey geb. Marbach in Berlin – Charlottenburg gefertigt wurde.
Das dieser nun seit 1910 auf dem Alten Johannisfriedhof befindliche Grabstein für Wagners Mutter und seiner Schwester Rosalie keineswegs auch wirklich die Stelle ihrer Gräber bezeichnet, wird dezent verschwiegen.
Auch das der auf dem Grabstein eingemeißelte Geburtsname von Wagners Mutter schlichtweg falsch ist, bekümmert ebenso wenig weder die Wagnerianer noch die Initiatoren der „Notenspur“, ein Leitsystem zur Leipziger Musikgeschichte. Diese Aktivisten behaupten bis zum heutigen Tage auf einer kostspieligen Hinweisstele am Eingang des Alten Johannisfriedhofes, dass auch der verdienstvolle Komponist und Wegbereiter des mitteldeutschen Männerchorgesanges, Carl Friedrich Zöllner, in der Erde dieses Friedhofes ruht.

Aber Carl Friedrich Zöllner ruht seit dem 27. September 1860 in der Erde des 1846 geweihten Neuen Johannisfriedhofes, in der auch Wagners Schwester Ottilie nebst ihrem Gatten Prof. Hermann Brockhaus einschließlich ihrer Kinder ruhen, die gleichfalls wie ihr Vater in die Annalen der Wissenschaft eingegangen sind.

Diesen kulturgeschichtlich so überaus bedeutsamen Leipziger Friedhof hat man vor gut vierzig Jahren dem Erdboden gleichgemacht und über den Gräbern der weltberühmten Musiker Ferdinand David und Ignaz Moscheles türmen sich seither die 35.000 Grabsteine dieses zusammengeschobenen Friedhofes auf zu einem Berg.

Auch auf dem bedeutenden Leipziger Südfriedhof findet sich in der III. Abteilung ein Grabstättenfragment für den hier begrabenen Otto Schelper, der als einer der wichtigsten Wagner-Interpreten überhaupt in seiner historischen Bedeutung untrennbar mit dem Musikschaffen Richard Wagners verbunden ist.

Die lange Liste sepulkralkulturell bedeutsamer Wagner - Stätten findet sich nicht nur in Leipzig, sondern auch in Dresden und anderen Stätten von Wagners Wirken.
Da sich die Kulturstadt Leipzig aber mit dem Slogan „Richard ist Leipziger“ in aller Welt so stolz und kulturbewusst präsentiert, sei den Wortführern hier auch die Pflege der kulturellen Substanz angemahnt.
Wo Wagner drauf steht, ist ja auch tatsächlich Wagner drin – aber zeigen sollte man dies schon. Und zwar nicht mit dumpfen Wirbeln mittelmäßiger Trommler, sondern mit einer wirklich intellektuellen Spitzenleistung kultureller Aufarbeitung ganz im Sinne Wagners.

Alfred E. Otto Paul

Zurück