Kunstwerk des Jahres 2010

Das Mausoleum des Fabrikanten Ernst Traugott Fritzsche

Die Entstehungsgeschichte dieses imposanten Grabtempels ist untrennbar mit der Geschichte der Familie Fritzsche verbunden – mit ihrem bemerkenswerten Aufstieg und ihrem tragischen Niedergang.

Im Jahre 1854 erwirbt der Leipziger Kaufmann Hermann Traugott Fritzsche ( 1809-1887 ) die hier ansässige Chemische Fabrik für ätherische Öle von Louis und Hermann Schimmel und führt die Firma fortan unter Beibehaltung des eingeführten Firmennamens Schimmel & Co. Zwei Söhne – Hermann Traugott und Ernst Traugott – werden die Firma Schimmel & Co. zu einem Weltunternehmen ausbauen.
Bereits 1868 wird sein erstgeborener Sohn Hermann Traugott Fritzsche (1843 – 1906) Teilhaber im aufstrebenden Unternehmen – unter seiner Leitung wird die Firma Schimmel & Co. ein Weltunternehmen mit Niederlassungen in Wien, Budapest und New York.
Ebenso ist sein zweiter Sohn, Ernst Traugott Fritzsche (1851 – 1916), später am Unternehmen beteiligt. Die Führung der Schimmel-Werke aber liegt in alleiniger Hand des Erstgeborenen Hermann Traugott Fritzsche jun. Während er sich für seine Familie in der Gohliser Antonstraße 1 eine prächtige Villa errichten lässt, wohnt der jüngere Bruder Ernst Traugott Fritzsche mit seiner Familie im väterlichen Hause in der Pfaffendorfer Straße 2.
1872 stirbt im Alter von 23 Jahren die Frau von Hermann Traugott Fritzsche jun. Er erwirbt deshalb am 20. Juni 1872 die Wandstelle No.48 in der V.Abteilung des Leipziger Neuen Johannisfriedhofes und beerdigt hier seine Frau, die ihm zwei Söhne hinterlässt – der erstgeborene Sohn aus dieser Ehe, wiederum mit dem Namen Hermann Traugott Fritzsche, stirbt 1877 einen Tag vor Heiligabend im Alter von nur 8 Jahren und wird hier an der Seite seiner Mutter begraben.

In einer zweiten Ehe des Hermann Traugott Fritzsche jun. – offenbar heiratet er die Schwester seiner verstorbenen Frau – werden zwei Söhne geboren, wovon der Sohn Eugen Heinrich bereits  1899  mit nur 22 Jahren in Badenweiler stirbt. Der zweite Sohn Otto Hermann überlebt nur kurze Zeit seine Eltern – er war Offizier der kaiserlichen Marine und stirbt 1908 in jungen Jahren durch einen Autounfall in der Nähe von Braunschweig. Hermann Traugott Fritzsche verliert auch seine zweite Frau Anna Dorothea Luise, die bereits 1902 im Alter von nicht einmal  48 Jahren stirbt.  Im besten Mannesalter verstirbt am 28. Juli 1906 Hermann Traugott Fritzsche jun. offenbar während einer Kur in Marienbad – sein Leichnam wird in einem prächtigen Metallsarg nach Leipzig überführt und im Erbbegräbnis auf dem Neuen Johannisfriedhof findet er an der Seite seiner zwei Ehefrauen und zweier Söhne die letzte Ruhestätte. Nur ein in erster Ehe 1871 geborener Sohn - Karl August Fritzsche – erreicht ein gesegnetes Alter und überlebt seine Geschwister.

Karl August Fritzsche war in jungen Jahren bereits als Teilhaber in die väterliche Firma eingetreten. Jedoch bestimmte die verfügte Erbfolge der Familie nicht ihn zum neuen Inhaber der Firma Schimmel & Co., sondern den jüngeren Bruder des verstorbenen Hermann Traugott Fritzsche, Ernst Traugott Fritzsche , der ebenfalls eine bedeutende Teilhaberschaft an der Firma besaß.



So wenden wir uns nun der eigentlichen zentralen Persönlichkeit dieser Geschichte zu – dem 1851 geborenen Ernst Traugott Fritzsche . Die Gnade der Geburt räumte ihm in der Familie wie auch in der Firma nur den zweiten Platz ein – er war zwar Teilhaber in der Firma, hatte aber keine wirklich direktoralen Vollmachten. Wie schon erwähnt, wohnte er auch nicht in einer eigenen Villa wie der ältere Bruder als auch der Erstgeborene, sondern im Hause der Eltern in der Pfaffendorfer Straße 2. Verheiratet ist Ernst Traugott Fritzsche mit der jungen Deutsch-Amerikanerin Ida Rosine Philine geb. Hemmer aus New-York – offenbar ergab sich diese Beziehung aus den Handelsverflechtungen der Firma mit ihrer Niederlassung in New York.   Allerdings verliert auch er, ebenso wie schon sein Bruder, sehr früh seine Frau – sie stirbt kinderlos am 21.November 1879 im Alter von 21 Jahren 9 Monaten und 6 Tagen. Begraben wird sie in der Familiengrabstätte auf dem Neuen Johannisfriedhof.

 Einige Jahre später heiratet Ernst Traugott Fritzsche seine zweite Frau Magdalene geb. Heller, mit der er ebenfalls im väterlichen Hause wohnt. Der gemeinsame erstgeborene Sohn wird offenbar nach dem Großvater auf den Namen Hermann Traugott getauft. Später wird dem Ehepaar eine Tochter Magdalene und noch ein, namentlich allerdings nicht bekannter, Sohn geboren. Der Stammvater der Familie Hermann Traugott Fritzsche sen. war im September 1887 im Alter von 78 ½  Jahren gestorben – interessanterweise wurde sein Leichnam nach Gotha gebracht und gemäß eigener testamentarischer Verfügung im dortigen ersten deutschen Krematorium am  16.September 1887 eingeäschert, was seine fortschrittliche Geisteshaltung bezeugt. Die Beisetzung der Urne mit der Asche des Verstorbenen im Familiengrab des Neuen Johannisfriedhofes war zu dieser Zeit -  gelinde gesagt - unerwünscht und nur die überragende gesellschaftliche Stellung des Toten und der Familie machte dies möglich – allerdings unter Ausschluß der Öffentlichkeit.    

Nach dem Tode von dessen Witwe Henriette Luise Fritzsche  Ende Oktober 1897 gelangte Ernst Traugott Fritzsche offenbar durch ein ihm nun zugefallenes erhebliches Erbe zu bedeutendem Reichtum und er ließ in der vornehmen Karl-Tauchnitz-Straße 37 eine standesgemäße Villa errichten, die er fortan mit seiner Familie bewohnte.  Der Tod des älteren Bruders Hermann Traugott Fritzsche im Jahre 1906 bewirkt den Aufstieg Ernst Traugott Fritzsches an die Spitze des Firmenimperiums und seine wirtschaftlichen Möglichkeiten sind nun nahezu unbegrenzt. Wie schon sein Vater und auch sein Bruder kann auch er sich mit dem vom sächsischen König verliehenen Titel eines Geheimen Kommerzienrates schmücken. Im Jahre 1910 stiftet Ernst Traugott Fritzsche für den Waldfriedhof Miltitz eine prächtige Kapelle – aber er wählt hier nicht, wie bei solchen Stifterkapellen oftmals festzustellen, seine eigene dereinstige Grabstätte. Er hat andere Pläne.

Obwohl seit dem Jahre 1872 alle Toten der Familie Fritzsche im Erbbegräbnis des Neuen Johannisfriedhofes bestattet werden, seine Eltern hier begraben sind  und selbst seine erste Frau hier ruht, hat Ernst Traugott Fritzsche nicht die Intentionen, die Tradition dieses familiären Erbbegräbnisses beizubehalten. Zu dieser Zeit um 1910 ist der Neue Johannisfriedhof im Zenit seiner Bedeutung als der große Begräbnisplatz des Leipziger Bürgertums und die Liste der hier bereits bestatteten prominenten Leipziger Bürger ist unendlich lang – von den großen Verlegerfamilien wie Brockhaus, Reclam, Teubner, Köhler und  Barth über die Gelehrten der Universität wie Curtius, Zarncke, Windscheid, His und Blomeyer bis zu Unternehmern wie Krause, Heine , Schwabe, Frege, Schlobach, Schomburgk, von Limburger  u.v.a. . So wäre Ernst Traugott Fritzsche einst im Tode hier nicht nur mit der Familie vereint, sondern auch unter all den so verdienstvollen Toten die gleich ihm sich einst mit den königlichen Titeln eines Geheimen Rates oder Geheimen Kommerzienrates auszeichneten, in bester Gesellschaft. Ernst Traugott Fritzsche, der sich jahrzehntelang durch Geburtenfolge immer in der zweiten Reihe der Nobilitierten befand und der nun durch die Macht des Schicksals wegen des Todes des erstgeborenen Bruders als Inhaber der Schimmel-Werke eine gesellschaftliche Spitzenposition erlangte, wollte sich mit einem eigenen königlichen Grabtempel ewigen Ruhm und sozusagen Unsterblichkeit sichern. Er wollte nicht eingehen in eine kollektive, familiäre Grablege, in der er nur der Eine von den Vielen sein würde.

Mit Sicherheit wissen wir heute, dass Ernst Traugott Fritzsche streng genommen auch keine neue Grablege für seine unmittelbare Familie anstrebte, sondern hier primär einen ganz auf seine Person bezogenen individuellen Totenkult realisieren will. Im Gegensatz zu zahlreichen anderen bedeutenden Leipziger Familien, die auf dem Neuen Johannisfriedhof oder dem Südfriedhof eine neue, repräsentative Grablege errichten ließen und dann auch ihre die toten Vorfahren hierher umbetteten, zieht Ernst Traugott Fritzsche diese Möglichkeit nie in Erwägung.  

Nach einem Rom-Besuch im Jahre 1913 ist er begeistert von dem Tempietto di Bramante im Innnenhof des Franziskaner-Klosters an der Kirche San Pietro in Montorio – in Anlehnung an dieses vom Baumeister Bramante um das Jahr 1500* geschaffene Meisterwerk der italienischen Hochrenaissance will er auf dem Leipziger Südfriedhof diesen Tempelbau als seine Grablege errichten lassen. Er wählt inmitten der XV. Abteilung einen exponierten Standort und erwirbt am 12. September 1914 für 10.600 Goldmark die entsprechend große Wahlstelle No.65 auf einhundert Jahre. Mit der Planung und Ausführung des Grabtempels beauftragt er nicht wie üblich den einstigen Hausarchitekten der Familie, Max Bösenberg, sondern Carl William Zweck – unterhalb des Grabtempels soll eine gewaltige Nekropole angelegt werden, in die man nach Fritzsches Willen mit sechsspänniger Kutsche einfahren kann, wie ein Anschreiben an die baupolizeiliche Genehmigungsbehörde bezeugt. Auch besteht Fritzsche auf möglichst große Authentizität mit dem italienischen Vorbild durch die Wahl des Baumateriales – der berühmte feinkörnige Muschelkalkstein aus dem italienischen Trentino kommt zum Einsatz.                                    

 Der Bau der Nekropole liegt in der Hand des im Stahlbetonbau sehr erfahrenen Leipziger Baumeisters Eduard Steyer – ein späteres Gutachten bezeichnet die von Steyer errichtete Gruft als ein für alle Zeiten unzerstörbares Bauwerk.  Die für den Bau des Tempels notwendigen Werksteine werden direkt im italienischen Trentino in einem Steinbruch maßgerecht gefertigt und dann über die Alpen direkt zum Südfriedhof transportiert – etwa 900 Kilometer Strecke sind dafür zu veranschlagen.  Allein die tonnenschweren, mit ionischem Kapitell geschmückten Säulen des Tempels haben eine Höhe von 5,30 m, die Werksteine für das 80 cm starke Umfassungsmauerwerk sind außerordentlich gewichtig. Alle Versetzarbeiten des Natursteins vor Ort werden – wie neueste Forschungsergebnisse des Autors  belegen – von der traditionsreichen Leipziger Bildhauer– und Steinmetzfirma E.F. Einsiedel ausgeführt.

Die Höhe des Tempels beträgt etwa 14 m – der Innenraum misst im Durchmesser 5 m und ist bei einer Innenraumhöhe von 7,30 m wohlproportioniert. Die Wände des Innenraumes sind belegt mit geschliffenem Muschelkalkstein und eingearbeitete Nischen beleben die Fläche, der Fußboden aus poliertem Carrara-Marmor wird umlaufend geschmückt mit der farbigen Marmorintarsie eines kräftigen Mäanderbandes. Eine prächtige Kuppel aus Bleiglas-Segmenten verleiht diesem Innenraum eine königliche Pracht und das durch die Oberlichter des Tambours einfallende Licht auf die Bleiglaskuppel verleiht dem Innenraum immer wieder ein anderes Stimmungsbild. Dies gilt in besonderem Maße auch von der Skulptur des in der Apsis befindlichen überlebensgroßen segnenden Christus – eine Arbeit des Leipziger Bildhauers Arthur Trebst nach dem berühmten, 1821 für die Kopenhagener Frauenkirche geschaffenen Vorbild von Berthel Thorvaldsen. Diesen Christus hat Arthur Trebst in den Jahren 1914-1916 aus einem Block Carrara – Marmor gehauen und die Sockelinschrift „Dieser nimmt die Sünder an“  mahnt an die Bußfertigkeit des Einzelnen.   Der Grabtempel ist ein Meisterwerk der Baukunst ohne jeden Makel – dies konstatieren spätere Experten nach einer Begutachtung.

 Allerdings wird der gesamte Bau von Anbeginn überschattet vom bereits ausgebrochenen I.Weltkrieg. Bereits im Jahre 1915 werden die nötigen Materialtransporte aus dem Trentino wegen des Kriegseintritts Italiens gegen Deutschland außerordentlich erschwert und im Jahre 1916 werden die Materialtransporte sogar unmöglich und das Baugeschehen kommt zum völligen Stillstand. Am 21.Dezember 1916 dieses glücklosen Jahres stirbt der Geheime Kommerzienrat Ernst Traugott Fritzsche im Alter von 65 Jahren – am Heiligen Abend 1916 wird er in der unter dem Tempel befindlichen gewaltigen Gruft in einem schweren Eichensarg beigesetzt. Seinen fertigen Grabtempel hat er nie gesehen, denn er ist nicht mehr als ein Fragment zum Zeitpunkt seines Todes. 6 fehlende Säulen verhinderten die Fertigstellung der unteren Rotunde mit dem Architrav.

 Nun ist es an der Zeit, dem verehrten Leser die hinterlassene Witwe von Ernst Traugott Fritzsche vorzustellen: Magdalene Fritzsche geb. Heller. Über ihrer Herkunft liegt noch immer das Dunkel der Geschichte – mit absoluter Gewissheit aber können wir sie als eine außerordentlich kluge Frau vorstellen, eine Frau von ausgeprägter christlicher Gläubigkeit mit nahezu missionarischem Eifer. Magdalene Fritzsche hat zu keiner Zeit den fast psychopathischen Drang ihres Mannes zur eitlen Selbstüberhöhung geteilt und dieses Projekt einer nahezu königlichen Grablege nie unterstützt. Ihre vom christlichen Pietismus geprägte Grundauffassung bezog sich in besonderem Maße auch auf die demütige Gestaltung eines traditionellen christlichen Begräbnisses. Aber sie war in Ansehung ihrer gesellschaftlichen Stellung auch pragmatisch genug, dieses von ihrem Mann gewünschte Tempelbauwerk zu vollenden und sie drängt nun den Architekten Carl William Zweck zur Fortführung der Bauarbeiten und baldigen Fertigstellung des Tempels. Carl William Zweck erklärt der Witwe Magdalene Fritzsche seine Zuversicht auf einen baldigen Endsieg der deutschen Waffen. „Zumindest“, so meint er in einem Brief, „wird Italien bald bezwungen sein und dann ist die zügige Vollendung des Baues gesichert“. Dagegen aber schreibt ihm Magdalene Fritzsche Anfang 1917, dass sie überzeugt sei, dass dieser Krieg noch Jahre dauern wird und Deutschland diesen Krieg verlieren wird. Ihr Brief endet mit dem Satz: „...und wenn alles vorbei ist, mein lieber Zweck – dann genade uns Gott“. Sie hatte längst erkannt, dass die unheilvolle Gegenwart eine dramatische Zukunft heraufbeschwört. Deshalb drängt Magdalene Fritzsche auf Alternativen und Carl William Zweck empfiehlt nun, den Tempelbau in Postaer Sandstein aus dem Elbsandsteingebirge zu vollenden. Dementsprechend ordnet Magdalene Fritzsche die Fertigstellung in Sandstein an und so entdecken wir heute, dass die rückseitigen Säulen aus Sandstein gefertigt sind und dass auch am Tambour und an der Kuppel dieses Material zum Einsatz gelangte.

 Als am 09. Mai 1919 dieses grandiose Tempelbauwerk vollendet ist, sind auch Magdalene Fritzsches Befürchtungen von einst Realität geworden – der Krieg war für Deutschland verloren, die Monarchie untergegangen und eine düstere Zukunft zeichnete sich ab. Und jetzt realisiert sie in bewundernswerter gläubiger Festigkeit ihr christliches Credo. In einer intellektuellen Meisterleistung initiiert sie ein kompliziertes Rechtskonstrukt, welches auf der Grundlage einer Schenkung an die Stadt Leipzig dieser den Tempel eigentümlich übereignet und gleichzeitig der Familie Fritzsche die alleinige Nutzung des Tempels als Gedächtnisstätte sichert. Ausschließlich der jeweils älteste Sohn nachfolgender Geschlechter hat das Recht, „den Schlüssel am Bande zu führen“. Als Grundvoraussetzung für die Wirksamkeit des Schenkungsvertrages besteht die Witwe auf die Umbettung des Leichnams von Ernst Traugott Fritzsche und seine Erdbestattung in einem der Familie kostenlos auf alle Zeit, solange der Friedhof besteht, zur Nutzung zustehenden Erbbegräbnis.

Unabdingbar ist für die Witwe auch der vertraglich vereinbarte Verzicht der Stadt Leipzig auf eine künftige Nutzung der Gruftanlage zu Bestattungszwecken – es wird also niemals eine Ratsgruft oder ein Sepulcrum Universitatis Lipsiensis oder dergleichen werden. Sie verhindert damit also, dass andere sich mit dieser Grablege überhöhen können. Nach Unterzeichnung dieser Schenkungsurkunde erfolgt im August 1919 die Aushebung des Sarkophages mit dem Leichnam Ernst Traugott Fritzsches und seine Erdbestattung in üblicher Grabestiefe in der nun der Familie kostenlos übereigneten Wahlstelle No.135 – nur wenige Meter vor dem Grabtempel.

Zumindest im Tode sollte es nach der ethischen Überzeugung der Witwe Magdalene Fritzsche für die Kinder Gottes keine Unterschiede geben. Und dementsprechend bereitet sie ihrem verstorbenen Mann ein schlichtes Grab – vor dem  efeubewachsenen Grabhügel lässt sie von der Steinmetzfirma E. F. Einsiedel ein schlichtes Grabkreuz aus Muschelkalkstein aufrichten mit seinem Namen und den Lebensdaten 1851-1916. Auf dem Querbalken des Kreuzes lässt die Witwe eine Inschrift einarbeiten , die da lautet: „Über ein kleines“. Diese Inschrift zitiert Jesus im Johannesevangelium Kap. 16 Vers 16 und verweist auf die absolute Gläubigkeit der Witwe zur Auferstehung und zum kommenden Reich Gottes ( Über ein kleines, und ihr schaut mich nicht mehr, und wieder über ein kleines, und ihr werdet mich wiedersehen). Es ist dies also die überzeugungsträchtige Botschaft der Witwe an ihren verstorbenen Mann auf das einstige Wiedersehen im Reiche Gottes und das ewige Leben.

Nach dem Begräbnis ihres Mannes verlässt die Witwe die Stadt Leipzig und zieht nach Meißen zu ihrer Tochter Magdalene, die mit dem dortigen Domprediger und Direktor der evangelischen Akademie, Georg Muntschick, verheiratet ist.

Die Stadt aber verletzt ihre im Schenkungsvertrag übernommene vertragliche Verpflichtung zur Pflege und Unterhaltung des Tempels und so klagt in einem Brief vom August 1947 die hochbetagte Witwe über „einen sehr vernachlässigten Eindruck“ und bittet dringend, dem Bauwerk „die zu seiner Erhaltung nötige Betreuung angedeihen zu lassen“. Die Stadt Leipzig aber unterlässt auch künftig jede Pflege und der Tempel wird zunehmend durch Vandalismus beschädigt und immer zahlreicher siedeln sich in den Fugen der Kuppel und um den Tambour kleine Bäume an, die sich in den nachfolgenden Jahrzehnten zu Starkbäumen auswachsen und hier erhebliche Schädigungen verursachen.

 Drei Tage nach seinem 65.Geburtstag verstirbt am 23. Oktober 1949 der Sohn Hermann Traugott Fritzsche – sein Leichnam wird wenige Tage später im Chemnitzer Krematorium eingeäschert.

Fast 87–jährig verstirbt am 05. März 1950 die Witwe Magdalene Fritzsche in Meißen und  ihr Leichnam wird im Krematorium Meißen eingeäschert. Am 29.April 1950 erfolgt die Beisetzung der Urnen mit der Asche des Sohnes und der Witwe jeweils in einem Einzelgrab links bzw. rechts vom Grabe des Geheimen Kommerzienrates Ernst Traugott Fritzsche – der Grabhügel von Ernst Traugott Fritzsche wird eingeebnet und die Gräber werden durch beschriftete, leicht gewölbte rechteckige Grabplatten der Firma E. F. Einsiedel gekennzeichnet. Zeitgleich wird in das Grabkreuz der Name Magdalene Fritzsche und ihre Lebensdaten 1863–1950 eingearbeitet.         

 Neuerliche Forschungen des Autors haben ergeben, dass in unmittelbarer Nachbarschaft des heutigen Grabes der Familie Fritzsche ein Alfred Freiherr von und zu Eggloffstein, Rittergutsbesitzer und Major a.D., die Wahlstelle XV/No.25 am 31.01.1917 erworben hatte.  Dieser starb im März 1918. Auch dessen Witwe fand hier ihre letzte Ruhestätte – sie starb 82-jährig  am Neujahrstag 1951 und ihr Leichnam wurde im Krematorium Meißen eingeäschert - es war Elsbeth Emilie Luise Freifrau von und zu Eggloffstein geb. Heller, die Schwester von Magdalene Fritzsche.

 Die Nachfahren dieser Familien haben längst auf alle Rechte an den Grabstätten verzichtet und somit den Generationenvertrag aufgekündigt. ine Spurensuche des Autors ergab, dass das Haus der Eltern von Ernst Traugott Fritzsche in der Pfaffendorfer Straße 2 wohl schon vor einhundert Jahren verkauft wurde – an dieser Stelle steht seitdem ein prächtiger Nachfolgebau.  Die parkumsäumte Villa von Hermann Traugott Fritzsche jun. in der heutigen Gohliser Friedensstraße 1 ist durch die Bomben des II.Weltkrieges vernichtet worden und nur ehrwürdige uralte Bäume erinnern heute noch an diesen einstigen Hort der Familie. Und auch die prächtige Villa von Ernst Traugott Fritzsche in der Karl-Tauchnitz-Straße 37  wurde im letzten Krieg dem Erdboden gleichgemacht. Und  somit sind in Leipzig diese baulichen Zeugnisse der Familie für immer verschwunden – nur der Tempietto auf dem Südfriedhof erinnert bis heute an diese Familie.

Die Schimmelwerke in Miltitz hatten am Haupteingang einen großen bronzenen Schimmel – dieses weltberühmte Markenzeichen der Firma ziert seit Jahrzehnten das Gestüt von Graditz.  

(Demnächst schildert unser Autor Alfred E.Otto Paul hier die von ihm initiierte und geleitete Rekonstruktion diese Meisterwerkes der Friedhofskunst.)

Die Fotos machte Bernd H.Reimer (PBG).

Die Lage der Grabstätte Fritzsche finden Sie auf der Karte des Südfriedhofs Leipzig