Kunstwerk des Jahres 2020
Das Grabmal des Leipziger Fabrikdirektors Willi Schreiber ( 1879 -1943)
Fünf Tage nach dem frühen Tode seiner Eheliebsten Gret Schreiber, deren kurzes Leben nur 32 Jahre und 10 Monate währte, erwarb der Leipziger Fabrikdirektor Willi Schreiber am 30. Mai 1921 die Wahlstelle No.175 in der I. Abteilung des Leipziger Südfriedhofes.
Schließlich beantragte am 02. Oktober gleichen Jahres der namhafte Leipziger Architekt Alfred Müller, der sich beispielsweise längst als Schöpfer der Philippuskirche in Leipzig-Lindenau (1907 -1910) oder gemeinsam mit Heinrich Rust durch die Bauten am Eingang des Zoologischen Gartens (1899-1900) oder der nur unweit am Leipziger Nordplatz gelegenen Michaeliskirche (1907-1910) einen Namen gemacht hatte, die Genehmigung für die Errichtung einer architektonischen Grabmalanlage auf der Grabstätte der Familie Schreiber. Inmitten einer 241 cm hohen, halbrunden Gruppe kannelierter Säulen mit bedeckendem Architrav fand sich auf einem kräftigen Sockel die bronzene Plastik „Müder Wanderer“, ein Werk des bedeutenden Dresdner Bildhauers Professor Selmar Werner.
Vermutlich war die Säulengruppe aus dem gleichen Material gefertigt wie der Sockel der Plastik – aus Travertin. Die gesamte Grabmalanlage war am 09. Januar 1922 fertiggestellt. Nachdem Willi Schreiber im April 1943 im Alter von 63 ¾ Jahren verstorben war, erfolgte gemäß seines Testamentes die Feuerbestattung des Leichnams im Krematorium des Leipziger Südfriedhofes und die Beisetzung seiner Asche im Grabe seiner frühverstorbenen Frau.
Im April 1945 wurden bewaffnete Verbände, die sich in den Anlagen des Leipziger Südfriedhofes verschanzt hatten, von alliierten Fliegern bekämpft – dabei wurde die gesamte Grabmalanlage durch Beschuss und Bombardement unwiederbringlich zerstört. Unübersehbar erhielt dabei auch die bronzene Plastik durch eine Vielzahl von Einschüssen schwerste Beschädigungen, die bis zum heutigen Tage auf ihre Beseitigung durch eine fachgerechte Restaurierung warten*.
Die notwendige Wiederherstellung dieses hervorragenden Werkes der Grabmalkunst des ausgehenden Jugendstils ist umso gebotener, da dieses Werk seit vielen Jahren in einem verschlossenen Depot gefährdeter Kunstwerke lagert und dadurch schon lange der öffentlichen Erlebbarkeit entzogen ist.
Bekannt sind heute insgesamt sieben Exemplare dieser mit größter Wahrscheinlichkeit im Jahre 1910 geschaffenen Plastik, deren Erstguss der Bildhauer Prof. Selmar Werner für das Grab seiner Eltern auf dem Geraer Südfriedhof bestimmt hatte und in dem 1953 auch die Urne mit seiner Asche beigesetzt wurde.
Große Bekanntheit erlangte Selmar Werner auch durch seine enge Freundschaft mit Karl May – diesem Umstand war es schließlich zu verdanken, dass nicht, wie ursprünglich geplant, Max Klinger den geplanten marmornen Bildschmuck „Engel empfangen eine irdische Seele“ am Mausoleum der Familie May auf dem Radebeuler Friedhof schuf, sondern Selmar Werner.
Das im Jahre 1914 eingeweihte Schillerdenkmal in Dresden am Albertplatz hat sich bis in unsere Tage erhalten und gilt als das Hauptwerk des Bildhauers Professor Selmar Werner.
*In einem Schreiben vom 01. August 1945 hatte Hedwig Schreiber, die zweite Frau des Willi Schreiber, Ansprüche beim Kriegsschädenamt geltend gemacht.
Alfred E. Otto Paul – 22. Januar 2020
Kunstwerk Archiv