Kunstwerk des Jahres 2011
Die Grabstätte der Familie Schlippe
Johann Friedrich August Schlippe und dessen Ehefrau Anna Regina geb. Vogel wählen unmittelbar nach ihrer Hochzeit im Jahre 1792 das Dorf Gohlis zu ihrer künftigen Heimat und übernehmen mit der »Oberschenke« einen traditionsreichen Gasthof, der sie verbunden mit einigem Grundbesitz redlich ernährt und zu ansehnlichem Wohlstand gelangen lässt.
Das heute von der Familie sorgsam gehütete »Tagebuch des Oberschenkenwirtes« gilt als ein wichtiges historisches Dokument der Gohliser Ortsgeschichte zur Zeit der Befreiungskriege und vermittelt ein sehr anschauliches Bild vom Gohliser Alltagsleben in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Als durch die Sächsische Landgemeindeordnung seit 1838 die dörfliche Selbstverwaltung möglich wird, bekleidet Carl Christian Schlippe das Amt eines Ortsrichters – vergleichbar mit dem eines Bürgermeisters.
Im Jahre 1851 errichten die Gohliser, nachdem sie seit Jahrhunderten ihre Toten in Eutritzsch bestatten mussten, einen eigenen Friedhof, auf dem auch der Gutsbesitzer und Ortsrichter Carl Christian Schlippe im Jahre 1852 ein standesgemäßes Erbbegräbnis erwirbt und in dem er schließlich beerdigt wird, als er 1868 im Alter von 72 Jahren verstirbt.
Durch die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzende, dann immer mehr zunehmende Ansiedlung gewerblicher Unternehmen in Gohlis und einer damit verbundenen regen Bautätigkeit macht sich eine Verlegung des Friedhofes notwendig und so wird im Jahre 1868 am Viertelsweg ein neuer Begräbnisplatz geweiht.
Erst als eine Überbauung des inzwischen säkularisierten ersten Gohliser Friedhofes im Frühjahr 1886 unvermeidbare Tatsache wird, entschließt sich die Familie Schlippe zu dieser Zeit gezwungenermaßen im Austausch zum Erwerb der heutigen Grabstätte auf dem 1868 geweihten Friedhof.
Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, dass die Familie Schlippe im Rahmen des Grabstättentausches die seinerzeit kostspielige Wandstellenarchitektur aus Sandsteinquadern hierher auf die neue Erbbegräbnisstätte umsetzen und neu aufrichten ließ. Die im Zentrum angebrachte weiße Marmortafel mit der Inschrift »Familie Schlippe 1852« stammt mit Sicherheit von der ursprünglichen Grabstätte und deutet unmissverständlich auf das Traditionsbewusstsein der Familie.
Belegt ist die Exhumierung und Umbettung der einst in der ursprünglichen Grabstätte bisher beerdigten Toten. So erinnert ein schlichter Obelisk aus schwarzem schwedischen Granit auch an Carl Christian Schlippe, der gemeinsam mit seiner Ehefrau Wilhelmine hier in einem Grabe ruht.
Als 1899 dessen Sohn Carl August Schlippe stirbt, erwirbt seine Witwe Bertha Louise für »ihren über alles geliebten Ehemann …« diese überaus wertvolle Grabmalplastik, die Beweinung Christi darstellend, von der Hand des namhaften Professors der Nürnberger Kunstakademie Johann Rössner (1841-1911).
Wieso die Gohliser Familie Schlippe den anerkannten Nürnberger Bildhauer Johann Rössner auswählte, erklärt sich durch deren engste verwandtschaftliche Verbindungen mit der Nürnberger Kunsthändlerfamilie Arnold, deren Tochter Hedwig den Sohn August Oskar Schlippe heiratet.
Gegossen wird die Plastik in der renommierten Nürnberger Bronzebildgießerei Lenz, in der bedeutende Werke Johann Rössners wie bspw. die Statuen des Martin Behaim oder des Hans Sachs entstanden sind. Zeitgenössische Dokumente im Besitz der noch heute in Nürnberg sehr erfolgreichen Kunstgiesserei Lenz belegen einen von der Witwe Schlippe gezahlten Kaufpreis von etwa 3 000 Goldmark für diese Skulpturengruppe. So wird eine, von beidseitig je zwei sandsteinernen Kragsteinen getragene, kräftig profilierte Sandsteinplatte in die Wandstelle zur Aufnahme der prächtigen bronzenen Skulpturengruppe eingearbeitet, auf der die Natur in über 100 Jahren eine grüne Patina ausgebildet hat. Aber nicht nur der Altersschmuck der Patina hat sich auf der Plastik niedergelegt, sondern auch deutliche Verkrustungen und Salze bedrohen ihre Zukunft und drängen auf eine baldige Restaurierung dieses meisterhaften Werkes.
Im Rahmen dieser künstlerisch erheblichen Aufwertung der Grabstätte erfolgt auch die Erneuerung der oberen Gesimsabdeckung sowie die schmückende Bekrönung der die Wandstelle beidseitig begrenzenden Pilaster mit jeweils einer prächtigen, noch heute unbeschädigten Schmuckurne aus grünlichem sächsischen Serpentin.
Auf dem Erbbegräbnis sehen wir links ein klassisches Grabmal – eine im Schaft zerbrochene Säule als Symbol des geendeten Lebens erinnert an den Sohn des Gutsbesitzers Carl August Schlippe, der die landwirtschaftliche Tradition seiner Vorfahren beendet und als Dr.phil. August Oskar Schlippe erfolgreich eine Leipziger Buchdruckerei übernommen hat. Seine Tochter Manja Schlippe ist die letzte Namensträgerin. Sie heiratet den Studienrat Dr. phil. Hans Schüppel, der über zwei Jahrzehnte an der Gaudig-Schule in Leipzig wirkt. Deren Tochter Nora stirbt traurigerweise 1944 während eines Einsatzes beim Reichsarbeitsdienst an einer Sepsis im blühenden Alter von 19 Jahren. In beeindruckender Verantwortung und ausgeprägtem kulturellen Bewusstsein sichert der Sohn Geert Schüppel (*1928) diese Grabstätte seiner Vorfahren, in der fünf Generationen einer äußerst verdienstvollen Gohliser Familie ihre letzte Ruhestätte haben. Diese Grabstätte verkörpert das klassische Erbbegräbnis schlechthin und ist durch seine beispielgebende gärtnerische Gestaltung ein Gesamtkunstwerk, wie wir es in dieser Ganzheit leider nur noch selten erleben können.
Dieser Beitrag zur Grabstätte der Famile Schlippe wurde ebenfalls im 3. Band von "Die Kunst im Stillen - Kunstschätze auf Leipziger Friedhöfen" von Alfred E. Otto Paul veröffentlicht.
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