Kunstwerke des Monats 2024
Die Skulptur „Flora“ von Rudolf Oelzner
Der im Jahre 1906 im Städtchen Taucha nahe Leipzig geborene Rudolf Oelzner absolvierte nach einer Lehre als Holzbildhauer schließlich ab 1926 die Leipziger Kunstgewerbeschule unter Alfred Thiele und studierte an der dortigen Akademie für graphische Künste und Buch- gewerbe bei Georg-Alexander Mathey.
Prägend für das lebenslange Werkschaffen des Bildhauers war der legendäre Tierplastiker August Gaul, aber auch sein Lehrer Alfred Thiele, dessen Tierplastiken ebenfalls von außerordentlicher Bedeutung waren, war für Rudolf Oelzner Maßstab seiner eigenen Arbeiten. Überall im Stadtgebiet von Leipzig finden sich noch heute sehr zahlreich Oelzners bronzene Tierplastiken, aber auch vielfach seine Bildwerke von Frauen, Knaben oder Paaren. Mit Max Schwimmer verband ihn eine enge Freundschaft, deren Ergebnis u.a. die wunder- schöne Bronzeplastik der Alma Freifrau von Stoltzenberg wurde.
Nach dem Tode von Rudolf Oelzner am 09. September 1985 wurde dessen Leichnam im Krematorium des Leipziger Südfriedhofes eingeäschert, die Beisetzung seiner Asche erfolgte in der II. Abteilung des Südfriedhofes in einem eigens für Oelzner ausgewählten Areal in unmittelbarer Nachbarschaft der bedeutenden Bildhauer Carl Seffner und Robert Schenker, sowie des Gewandhauskapellmeisters Arthur Nikisch und des Thomaskantors Günther Ramin.
Erst Jahre später konnte 1991 die Grabskulptur der „Flora“ über dem Grabe von Oelzner errichtet werden – das entsprechende Gipsmodell schuf Rudolf Oelzner bereits im Jahre 1952 in der Blüte seines Schaffens. Der Steinbildhauermeister Peter Lager arbeitete nach Oelzners Tod die „Flora“ aus einem mächtigen Block bulgarischem Kalkstein und erinnert an die römische Göttin der Blumen und der Jugend. Ein kräftiger Sockel aus gestockt bearbeitetem Granit erhebt sie deutlich und unterstreicht dominant ihre besondere Wirkung inmitten dieses durchaus etwas elitären Friedhofsquartiers.
Letztlich bleibt uns verborgen, wer einst das Modell für diese interessante Skulptur gewesen war – sicher ist zu vermuten, dass es eine Frau war aus dem ganz persönlichen intimen Umfeld des seinerzeit in den besten Jahren befindlichen Bildhauers Rudolf Oelzner.
Bewusst hat Rudolf Oelzner im Tode offenbar die Anonymität gewählt, denn nirgends findet sich sein Name oder die Daten der Spanne seines reich gesegneten irdischen Lebens.
Alfred E. Otto Paul
Das Grabmal des Orgelbauers Lars Magnus Hofberg
(1862 – 1919)
Lars Magnus Hofberg wurde im September 1862 in Grava in der Nähe von Karlstadt in Schweden geboren. Etwa zeitgleich kam Magnus Hofberg in den 1880 iger Jahren mit seinen schwedischen Landsleuten Olof Lindholm (1866 - 1949) und Carl Theodor Mannborg (1861 - 1930) nach Borna wo sie als Orgelbauer-Gehilfen in der Orgelbaufirma von Urban Kreutzbach, der übrigens auch aus Skandinavien stammte, arbeiteten.
Später machten sich Lindholm, Mannborg und auch Hofberg selb- ständig und erlangten als Harmoniumbauer weltweite Bedeutung.
Nachdem Magnus Hofbergs Tochter Helga Luise im Juni 1919 im Alter von erst 17 Jahren in Leipzig gestorben war, erwarb er in jenen Tagen in der IV. Abteilung des Leipziger Südriedhofes das Erbbegräbnis No.11 für die Dauer von 100 Jahren. Helga Luise Hofberg wurde in einem eichenen Pfostensarg „hinten links einfach tief“ beerdigt. Aber noch im gleichen Jahre starb im November 1919 Magnus Hofberg selbst, wurde ebenso in einem Pfostensarg „hinten Mitte einfach tief“ am 17. November 1919 beerdigt.
Im Auftrag der Witwe Anna Hofberg beantragte der Leipziger Bildhauer Alfred Fränzel am 10. Februar 1920 die Genehmigung für die Errichtung eines Grabmals aus allseitig poliertem schwedischen Syenit, in dessen Zentrum sich ein erhaben aus dem Stein gemeißelten Relief mit der Darstellung eines Engels zeigt.
Eine erhaltene Zeichnung auf Pergament von der Hand Alfred Fränzels belegt eindeutig seine persönliche Autorenschaft und bezeugt die große Meisterschaft dieses Leipziger Bildhauers, der über viele Jahrzehnte immer wieder die Leipziger Friedhöfe mit bedeutenden Grabmälern von seiner Hand bereichert hatte.
Alfred E. Otto Paul
Denkmal der Urnengemeinschaftsanlage Südfriedhof XV. Abteilung
In der zweiten Hälfte der 80-iger Jahre des vorigen Jahrhunderts wurden im Bereich des einstigen Kriegerhaines A des Südfriedhofes tausende Urnen anonym beigesetzt. Für all die Namenlosen wurde schließlich im Jahre 1988 unter Federführung des Autors inmitten dieses Grabfeldes ein Denkmal aus Schiffsstahl errichtet in Form eines stilisierten Alpha und Omegas als Verweis auf den Anfang und das Ende unserer irdischen Zeit. Da es seit dem Jahre 1942 auf dem Südfriedhof keine Möglichkeit eines Glockengeläutes mehr gab – mit Ausnahme der Sterbeglocke wurden die Glocken kriegsbedingt eingeschmolzen – wurde die 259 Kg schwere Sterbeglocke in das Denkmal eingefügt als ein Symbol des Memento mori.
Die Glocke ist im Jahre 1909 in der berühmten Glockengießerei Apolda vom Erzgießer Franz Schilling gegossen, das unvergängliche Denkmal wurde 1988 in der Leipziger Stahlbaufirma des Wladislaus Szewszyk für die Ewigkeit gefertigt, eine Mahnung zum Erhalt unserer traditionellen Bestattungskultur.
Alfred E. Otto Paul
Das Grabmal des Glasmalermeisters
Adolph Stokinger
In der XVI. Abteilung des Südfriedhofes befindet sich ein einzigartiges Zeugnis der Grabmalkultur unserer Leipziger Friedhöfe – das Grabmal Stokinger in der XVI. Abteilung des Südfriedhofes. Es dürfte im Jahre 1929 in der Blütezeit des Art déco entstanden sein, gearbeitet in der Form eines gotischen Kirchenfensters. Während die umrahmte Front in der vollständigen Fläche einst mit einem farbenprächtigen Glasmosaik geschmückt war, trägt die fein gestockte und seitlich gekehlte Rück-seite des Grabmales den Namen MARIE STOKINGER sowie deren Lebensdaten 1882 bis 1928.
Mit größter Wahrscheinlichkeit ist dies die Grabstätte des bedeutenden Glasmalers Adolph Stokinger, der im Jahre 1884 als junger Mann aus dem Ungarland nach Leipzig kam und seine Karriere als Gehilfe in der bereits am 01. April 1867 gegründeten Leipziger Glasmalerei des Adolf Schulze begann. Bereits im Jahre 1889 wurde er der geschäftliche Teilhaber von Adolf Schulze und so hieß die Glasmalerei seitdem ADOLF SCHULZE & ADOLPH STOKINGER. Nach dem frühen Tode von Adolf Schulze im Jahre 1890 führte Adolph Stokinger die Firma, wobei die Witwe des Adolf Schulze noch zehn Jahre lang Nutznießerin der Geschäftsgewinne blieb. In diese Zeit fiel die Entstehung der Südfenster der neogotisch umgestalteten Thomaskirche, mit deren Anfertigung Adolph Stokinger betraut wurde.
Im Jahre 1910 übergab der Glasmalermeister Adolph Stokinger die Firma an seinen Sohn Josef Stokinger (1881 – 1947), nach dessen Tod übernahm 1947 der Sohn Rolf Stokinger (1911 – 2000) die traditionsreiche Glasmalerei.
Vermutlich erwarb die Familie Stokinger im Jahre 1928 die beiden Rabattengräber No.55 und No.56, denn in diesem Jahre starb die auf dem Grabstein erwähnte Marie Stokinger geb. Sasse im Alter von erst 46 Jahren und wurde im Grabe beerdigt. Sie war die Glasmalers-Ehefrau des Josef Stokinger.
Ein Jahr später starb am 17. Juli 1929 die Glasmalers-Ehefrau Clara Franziska Stokinger geb. Jänichen, die Frau des Altmeisters und Fir-menbegründers Adolph Stokinger. Auch sie wurde in dieser Grabstätte der Familie beerdigt.
In jenen Tagen des Jahres 1929 wurde offensichtlich der mit dem Mosaik geschmückte Grabstein geschaffen und über dem Grabe errichtet. Er dürfte federführend von der Hand des Adolph Stokinger geschaffen worden sein, wobei dieser aber wohl noch im gleichen Jahre 1929 seiner Frau im Tode folgte.
Das nur noch fragmentarisch erhaltene Glasmosaik soll baldmöglichst im Auftrag der Paul-Benndorf-Gesellschaft umfassend restauriert werden – ausgewählt hierfür hat der Vorstand die Leipziger Kunst-glaserei Dirk Schneider, deren Begründer sein solides Handwerk vor langer Zeit bei Stokinger erlernt hatte.
Auch die Asche von Rolf Stokinger, dem am 02. April 2000 ver-storbenen letzten Glasmalermeister dieser Familie, wurde hier im Grabe beigesetzt.
Die noch immer nur sehr fragmentarisch bekannte Geschichte dieses kulturgeschichtlich sehr bedeutsamen Grabes wird nun zeitnah aufge-arbeitet und sehr bald entsprechend publiziert werden.
Alfred E. Otto Paul
Das Grabmal der Baumeisters-Ehefrau Martha Gertrud Seim (1881 – 1934)
Über den Leipziger Baumeister Fritz Willibald Seim wissen wir nur Weniges zu berichten. Der Vater war Kaufmann, die vermutlich wohl-habende Familie wohnte im ersten Haus der nahe dem Leipziger Rosenthal gelegenen Färberstraße.
Der im Jahre 1874 geborene Fritz William Seim erhielt eine ordentliche Ausbildung, wurde Baumeister und qualifizierte sich später noch zum Ingenieur. Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte er eine Tiefbaufirma Seim & Riedel, die dann aber kriegsbedingt schließen musste. Nach Kriegsende gründete er etwa 1919 erneut eine Bauunternehmung, die ihren Geschäftssitz in der Färberstraße hatte. Zehn Jahre später, 1929, verlegte er die Firma in den Leipziger Stadtteil Probstheida, in die Russenstraße. Im Jahr darauf erwarb er vom Kaufmann Johannes Rückardt das Eigentum an den Grundstücken Russenstraße No.10 und No.11.
Aber zu dieser Zeit wurde seine Ehefrau vermutlich bereits sehr krank, so dass er sich ernsthaft um ihr Leben sorgen musste. Deshalb erwarb er am 10. Februar 1931auf dem Südfriedhof zwei Rabattengräber mit den Nummern 112/113. Diese Gräber befanden sich in der XIX. Abteilung des Friedhofs in größter Nähe zu seinem Hause in der Russenstraße. Aber der Tod hatte offenbar keine große Eile, ihm die Eheliebste zu nehmen – erst am 06. Juni 1931 bezahlte er die Gebühren für den Erwerb eines dreißigjährigen Nutzungsrechtes an den beiden Gräbern.
Der Baumeisters-Ehefrau Martha Gertrud Seim geb. Hören war noch eine gute Frist vergönnt, bis sie am 14. März 1934 im Alter von 52 Jahren starb. Drei Tage später wurde sie nach standesgemäßer Trauerfeier in der Hauptkapelle des Südfriedhofes nachmittags um 2 Uhr in einem eichenen Sarg im Rabattengrab No. 112 in einfacher Grabestiefe beerdigt. In der Todesanzeige erinnerte der Witwer, sie sei ihm in guten wie in schlechten Tagen immer die beste Kameradin gewesen.
Im Auftrag des trauernden Witwers Fritz W. Seim schuf der Leipziger akademische Bildhauer Paul Stuckenbruck, der einst beim Rauch-Schüler Melchior zur Strassen in Leipzig studierte, das stelenartige Grabmal aus Laaser Marmor. Zumindest symbolisch wird hier in sehr anmutiger Weise der Dahingegangenen gedacht, die in langem, ärmellosen Gewand mit ihrer Rechten auf ihr Herz weist und in ihrer linken Hand Mohnkapseln hält als ein Verweis auf ihren ewigen Schlaf. Der schon in der Antike praktizierte Brauch, die Gräber der Toten mit Mohnkapseln zu schmücken, förderte bis in die Gegenwart deren Symbolik des Todes schlechthin. Das im dreiviertel-Relief gearbeitete Bildwerk einer schönen Frau mit zeittypischer Frisur wurde beidseitig flankiert von rechteckigen Anläufern aus gleichem Material, in denen vertieft die Namen der verstorbenen Eheleute und ihre Lebensdaten eingemeißelt waren. *
Der Baumeister Fritz William Seim folgte nur wenige Jahre seiner Frau im Tode nach – er starb am 05. September 1939 im Alter von nur 64 Jahren. Große Todesanzeigen in der Leipziger Presse verwiesen auf seine unvergessenen Verdienste beim Wiederaufbau der Fa. Robert Naumann Stein – und Terrazzowerke Waldheim/Sachsen und beim Neuaufbau seiner Firma Seim & Co.in Leipzig. Bereits acht Tage später wurde die Urne mit seiner Asche im Grabe der Ehefrau beigesetzt.
Am 19. November 1974 wurde im Rabattengrabe No.113 die Asche der Tochter Gertrud Laffont geb. Seim beigesetzt – bereits anderthalb Jahre vor Ablauf ihrer Totenruhe entschied die Verwaltung des Südfriedhofes unsensibel die künftige Einebnung der Grabstätte.
* Das Grabmal wurde im Jahre 2015 in die XIV. Abteilung des Südfriedhofes umgesetzt, der heutige Sockel und die Flankensteine sind nicht original. Vom Grabmal ist lediglich das stelenartige Mittelteil mit der Figur erhalten.
Urheberrechtlich geschützter Vorabdruck aus der Publikation
Alfred E. Otto Paul „Die Kunst im Stillen – Kunstschätze auf Leipziger Friedhöfen“
Band No.08, 2024
Der Komponist
Gustav Borchers (1865 – 1913)
Gustav Borchers wurde am 18. August 1865 im niedersächsischen Woltwiesche, einer Gemeinde südöstlich von Braunschweig, geboren.
Sein Leben endete am 19. Januar 1913 abends um 9 ½ Uhr nach schwerem Leiden im Alter von erst 47 Jahren. Aber seine Jahre in Leipzig waren offenbar so bedeutsam, dass man ihm nach seinem frühen Tode in den Leipziger Neuesten Nachrichten einen Nekrolog widmete, in dem u.a. es hieß:
„Gustav Borchers, der bekannte hiesige Lehrer des Schul- und Kunstgesangs ist gestern nach längerer Kränklichkeit plötzlich im Alter von 47 Jahren verstorben. Im Braunschweigischen geboren, war Borchers im Lehrerseminar zu Wolfenbüttel Klavierschüler von Marie Reinecke, der Schwester des Leipziger Gewandhausdirigenten, erwarb dann durch die Komposition eines öffentlich aufgeführten Männer- chores mit Orchester die Aufnahme in das Holsteinstift* und das Leipziger Konservatorium, dem er eine umfassende musikalische Ausbildung verdankte.“
In der privaten Todesanzeige seiner Witwe Anna Borchers** wird erwähnt, dass er Oberlehrer war und Cantor zu St. Petri. Trauer- anzeigen des Lehrerkollegiums der Nikolaischule, des Vereins der Musiklehrer und Musiklehrerinnen zu Leipzig unter Leitung des Musik- direktors Moritz Vogel und auch des D.theol. Bruno Hartung im Namen des Kirchenvorstands St. Petri finden sich in der o.g. Tageszeitung.
Am Donnerstag, den 23. Januar 1913, wurde der Leichnam im Leipziger Krematorium nachmittags um ½ 3 Uhr eingeäschert und vermutlich noch am gleichen Tage setzte man im Rabattengrab No.176 in der XIV. Abteilung des Südfriedhofes die Urne mit seiner Asche bei.
Im Jahre 1913 dürfte der Leipziger Bildhauer Prof. Werner Stein das Porträt des Verstorbenen auf einem Rundbild verewigt haben, welches dann in der Leipziger Bronzegießerei des Traugott Noack in Erz gegossen und schließlich in einen mannshohen Findlingsstein eingearbeitet und zum Grabmal bestimmt wurde. Unmittelbar hinter dem Findling hat man dann wohl ihm zu Ehren eine Eiche gepflanzt, die in über hundert Jahren zu einem stattlichen Baumriesen herangewachsen ist.
Gustav Borchers Tochter Hedwig war als Sopranistin viele Jahre bis 1927 am Leipziger Opernhaus engagiert, sie heiratete den Komponisten und Chordirigenten Otto Didam, der in jahrzehntelanger Arbeit so außerordentliche Verdienste um die Leipziger Chorbewegung erwarb. Otto Didam versammelte um sich bis zu 600 Sänger und schuf damit die Didamschen Chöre. Olaf Didam war der würdige Erbe seines Vaters, auch er wurde eine Institution des Leipziger Chorwesens.
* Das Holsteinstift wurde im Jahre 1879 vom Architekten Arwed Rossbach in der Leipziger Salomonstraße 7 erbaut, nachdem Hedwig von Holstein geb. Salomon mit 100.000 Goldmark eine entsprechende Stiftung begründet hatte. Sie entsprach damit einem lebzeitigen Wunsch ihres verstorbenen Mannes Franz von Holstein, eine Heimstatt für mittellose Musikstudenten zu schaffen und ihnen gleichzeitig das Studium am Leipziger Konservatorium zu ermöglichen
** Die Witwe Anna Borchers fand in dieser Grabstätte nicht ihre letzte Ruhestätte
Urheberrechtlich geschützter Vorabdruck aus:
Alfred E. Otto Paul „Die Kunst im Stillen – Kunstschätze auf Leipziger Friedhöfen“ - Band No.08, 2024
Der Marmortondo des Bücherrevisors Willy Schneider (1899 – 1939)
Das hier abgebildete Grabmal mit dem Porträtmedaillon, auf dem der Leipziger Bücherrevisor Willy Schneider zu sehen ist, hat einen interessanten historischen Hintergrund.
Curt Ernst Willy Schneider heiratete seine Lebensliebe, die um einige Jahre ältere, auch recht vermögende Kaufmannstochter Charlotte Blasberg, trotz des erheblichen Widerstandes ihres Vaters.
Das Ehepaar blieb kinderlos, widmete sich begeistert der Sammlung von Kunstwerken, insbesondere zeigten sie sich interessiert an koptischer Kunst. Willy Schneider und seine Ehefrau Charlotte unternahmen zahlreiche, ausgedehnte Reisen in die großen europäischen Kulturländer und auch in den Orient.
Als sie im Jahre 1939 einen Urlaub im mondänen schweizerischen St. Moritz verbrachten, hatte Willy Schneider in den dortigen Bergen einen Unfall, dem er aber keine übermäßige Bedeutung beimaß.
Nach Leipzig zurückgekehrt, setzte urplötzlich und völlig unerwartet in ihrer Wohnung am Floßplatz eine tödliche Embolie dem Leben des vierzigjährigen Willy Schneider ein Ende, wohl eine Folge des Unfalls.
Und genau am Tage seines Todes, man schrieb den 03. September 1939, der sogenannte Polenfeldzug hatte gerade begonnen, überbrachte ein Postbote den Einberufungsbefehl für den Reserveoffizier Willy Schneider.
Später tröstete man sich in der Familie damit, dass ihm, der als junger Mann mit dem letzten Aufgebot noch die Grauen des I. Weltkrieges erlebt hatte, dadurch vielleicht ein sinnloser Tod in diesem neuerlichen Völkermorden erspart geblieben ist.
Willy Schneider wurde am 07. September 1939 in einem Rabattengrab mit der Bezeichnung 2.A.2 in der V. Abteilung des Neuen Johannisfriedhofes doppelt tief beerdigt.
Die kunstsinnige Witwe beauftragte den Leipziger Bildhauer Prof. Adolf Lehnert mit der Anfertigung eines weißmarmornen Porträtbildnisses ihres dahingeschiedenen Gatten zur Schmückung seines Grabsteines.
Über viele Jahre pflegte die Witwe Charlotte Schneider das Grab des ihr so früh genommenen Gatten und als der Zeitpunkt der Säkularisierung des Neuen Johannisfriedhofes immer näher rückte, veranlasste sie die Verbringung des Grabsteines auf eine Grabstätte des Südfriedhofes, die dem Inhaber der „Albert-Apotheke“ Dr. Junge gehörte, dem sie seit Jahren sehr freundschaftlich verbunden war.
Bereits hochbetagt, heiratete die 76- jährige Witwe Charlotte Schneider schließlich den um elf Jahre jüngeren Apotheker Dr. Junge, und als ihr Leben am 02. Februar 1976 im Alter von 81 ½ Jahren endete, wurde sie zu Füßen des Grabsteines ihres ersten Mannes Willy Schneider bestattet.
Auszugsweise zitiert aus
Alfred E. Otto Paul
„Die Kunst im Stillen – Kunstschätze auf Leipziger Friedhöfen“ Band 8
Alfred E. Otto Paul
Das Grabmal des Tuchgroßhändlers
Johann Georg Bernhardt (1839 – 1921)
Johann Georg Bernhard, der wohlhabende Inhaber einer florierenden Tuchgroßhandlung in der Leipziger Thomasgasse nur unweit des Marktes, lebte mit seiner Familie in einer prächtigen Villa, die im Jahre 1893 nach den Plänen der beiden namhaften Architekten Carl Weichardt und Bruno Eelbo in der Wilhelmstraße in Gohlis erbaut wurde.
Am 08. Mai 1906 aber starb im Alter von 62 Jahren seine Ehefrau Elise und so erwarb er bereits am folgenden Tag für 900 Goldmark das Erbbegräbnis No.27 in der V. Abteilung des Südfriedhofes.
Unmittelbar linksseitig von dieser erwählten Ewigkeitsstätte ließ in jenen Tagen auf dem Erbbegräbnis No.28 der wohlhabende Apotheker Arno Weyrauch sein prächtiges Grabmal errichten, in dessen Zentrum sich ein überaus eindrucksvoller Engel über hohem Postament befand, der segnend und tröstend seine Arme ausbreitete. Und wenige Jahre später erwarb der bedeutende Leipziger Baumeister Eduard Steyer das rechtsseitige Erbbegräbnis No.26, errichtete darin eine imposante Gruft und ließ darüber vom Bildhauer Wilhelm Wollstädter eine beeindruckende Grabmalwand errichten. Und viele andere prominente Leipziger Persönlichkeiten wie u.a. der Ratsgärtnermeister Otto Wittenberg, der Kunsthistoriker Alphons Dürr, der Baurat Max Pommer, der Bildhauer Albrecht Leistner oder der Gewandhauskapellmeister Carl Reinicke wählten in der V. Abteilung ihr Refugium für die erhoffte Ewigkeit.
Am 12. Mai 1906, vier Tage nach ihrem Tode, wurde Wilhelmine Elise Bernhardt beerdigt. Nach Ablauf des Trauerjahres beantragte im Auftrag des verwitweten Tuchgroßhändlers Johann Georg Bernhardt der akademische Bildhauer Christian Schmidt aus Halle am 20. Juni 1907 die Errichtung einer Grabmalanlage aus fränkischem Muschelkalkstein, deren Zentrum von einem künstlerisch modellierten rundbogigen bronzenen Reliefbildnis geschmückt ist. Durch ein schmiedeeisernes Gitter über granitene Schwellen wurde die Grabstätte traditionell solide eingefriedet.
Am Eingang zur Grabstätte, genau in der Achse zum Hauptstein, verweist auf einer wandartigen Kalksteinplatte eine bronzene Tafel mit der großbuchstabigen Inschrift FAMILIE BERNHARDT auf diesen Ort als die letzte Ruhestätte der Familie. Die Kalksteinplatte ist oben vom Steinmetz trogartig ausgearbeitet zur Aufnahme von eingepflanztem Blumenschmuck.
Im mittleren Sockelstein des Grabmales sowie in den beidseitigen Anläufern sind querrechteckige umrahmte Bronzetafeln eingearbeitet, in die man dann später beschriftete Tafeln mit den Namen der Verstorbenen einsetzen konnte.
Das große Reliefbild auf dem Hauptstein zeigt eine sitzende Frau mit langem Haar in einem faltenreichen Gewand und dürfte symbolisch die verstorbene Gattin des Tuchgroßhändlers darstellen. Links oben in der gerahmten Bildtafel finden sich Lorbeerzweige, die auf die lebzeitigen Verdienste der treuen Ehefrau und Mutter von drei Söhnen und einer Tochter hinweisen. In ihrer Linken hält sie unübersehbar einen üppigen Blütenkranz, der für die unvergängliche Liebe der dankbaren Familie steht. Links unten im Bildnis findet sich Efeu als das klassische Symbol der Treue, Beständigkeit und insbesondere der Unsterblichkeit. ULTIMA LATET – das Letzte bleibt verborgen, so lesen wir im Bildnis; ein Bekenntnis zum unergründlichen Wirken Gottes auf Erden.
Beidseitig über dem Rundbogen sind bronzene Rosetten in den Stein eingearbeitet, die jeweils die Blüte der Passionsblume zeigen – ein christliches Symbol der Passion Jesu schlechthin mit Verweisen auf Dornenkrone, Kreuznägel oder die fünf Wunden Christi.
Nirgends findet sich ein Verweis auf die Erzgießerei, in der das qualitätvolle Bildwerk als Unikat entstanden ist.
Die vom Bildhauer Christian Schmidt entworfene Grabmalanlage ist über drei Meter tiefen, aus Hartbranntziegeln mit Kalkmörtel gemauertem Fundament errichtet worden. Alle Arbeiten waren schließlich am 03. Dezember 1907 vollendet.
Der verwitwete Johann Georg Bernhardt starb einen Monat vor Vollendung seines 82. Lebensjahres am 24. März 1921. Im besten Mannesalter hat er die Errichtung des Deutschen Kaiserreiches und dessen große wirtschaftliche Blütezeit erlebt, als Greis aber auch den Aufstieg und Fall des Kaiserreiches und den vollständigen Bankrott der Währung nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg.
Vier Jahre später wurde der Enkel Hans Georg Bernhardt hier begraben, dessen Leben nur 21 Jahre währte. Dessen Vater Friedrich Wilhelm Carl Bernhardt fand nach 69 Lebensjahren im September 1942 hier sein Grab.
Bis ins Jahr 2002 bemühte sich eine Nachgeborene noch um den Erhalt der Grabstätte, dann aber verliert sich deren Spur.
Zum Schöpfer der Grabmalanlage Bernhardt, dem Bildhauer Karl Christian Schmidt, sind unsere Informationen dürftig. Er war am 11. Juni 1869 geboren, ein Studium an der Dresdner Kunstakademie bildete ihn zum Bildhauer. Den Zoologischen Garten in Halle bereicherte er im Jahre 1902 mit einem in Bronze gegossenen Bogenschützen, das 1915 fertiggestellte Stadtbad in Halle zieren noch heute beidseitig im Portalbereich zwei Meeresskulpturen von Christian Schmidt und auch den Uhrenerker am Stadtbad Halle schuf der Bildhauer nach Entwürfen des Architekten Martin Knauthe.
Alfred E. Otto Paul
Urheberrechtlich geschützter Vorabdruck aus:
Alfred E. Otto Paul „Die Kunst im Stillen – Kunstschätze auf Leipziger Friedhöfen“ Band No.08
Das Grabmal des Architekten
Oswald Fiedler
In der V. Abteilung des Leipziger Südfriedhofes hatte – vermutlich vorsorglich – am 09. September 1926 der in Markkleeberg in der Koburger Straße 4 wohnende Architekt Oswald Robert Fiedler in der 2. Gruppe in der Reihe K das Grab No.10 erworben.
Nachdem seine Frau Minna Frieda geb. Henneberg am Heiligen Abend des Jahres 1933 im Alter von erst 42 Jahren gestorben war, wurde sie drei Tage vor Silvester 1933 in diesem Grab beerdigt.
Oswald Fiedler heiratete dann bald die um zehn Jahre jüngere Gertrud Lina, geb. Schubert, deren Leben allerdings auch nur fünfzig Jahre währte – sie starb im Februar 1947, die Urne mit ihrer Asche wurde über dem Sarg der ersten Frau eingesenkt.
Am 30. Oktober 1960 starb der Architekt Oswald Fiedler; er wurde am 03. November 1960 in diesem Grab beerdigt und ruht seitdem hier mit seinen beiden Frauen für immer vereint.
Wir gehen davon aus, dass das Grabmal aus Muschelkalkstein in zeittypischer Gestaltung vom Architekten Oswald Fiedler persönlich entworfen und dieses in der Werkstatt des renommierten Leipziger Bildhauers Max Alf Brumme gearbeitet wurde – dabei hat man die Front des Grabmals flächig so bearbeitet, dass ein erhabenes Feld bestehen blieb, in welches schließlich vom Bildhauer Max Alf Brumme im Relief das Bildnis einer verstorbenen Frau eingearbeitet wurde. Die dargestellte Frau mit langem Haupthaar steht symbolisch für die hier 1933 beerdigte erste Ehefrau des Architekten – während ihr Oberkörper barbusig nackt ist, zeigen sich der Schoß und die Beine umhüllt von einem Leichentuch, deutet auf den Tod der in der Blüte ihrer besten Jahre Verstorbenen. Die Arme der Frau sind erhoben zum Segensgestus, die Füße deuten auf einen aufwärts schwebenden Leib und damit zuversichtlich auf die Auferstehung. Über dem Bildnis und unterhalb der Inschrift sehen wir ein vertieft eingearbeitetes griechisches Kreuz, das älteste Kreuz der Christenheit. Die Botschaft dieses steinernen Bildwerkes ist grundsätzlich ein Bekenntnis zum christlichen Glauben, dem der Architekt Oswald Fiedler und ganz besonders der Bildhauer Max Alf Brumme indiskutabel verbunden war. Auf die künstlerische Autorenschaft des Grabmals verweist übrigens das rechtsunten im Bildwerk vertieft eingearbeitete stilisierte Monogramm MAB, welches für Max Alf Brumme steht.
Während das Bildwerk an die hier bestattete erste Frau von Fiedler erinnert, verweist die Inschrift
ARCHITEKT
OSWALD FIEDLER
UND SEINE
LIEBEN
auf den einst hier ruhenden Architekten und seine beiden Frauen. Aus Sicht des Autors ist die Inschrift bereits zeitgleich mit dem Bildwerk – wohl im Herbst 1934 – eingearbeitet worden, lediglich die Lebensdaten des Architekten wurden nach dessen Tod eingearbeitet.
Die enge Zusammenarbeit des Architekten Oswald Fiedler, der auch Mitglied im BDA war, mit dem Bildhauer Max Alf Brumme ist vielfach bezeugt – so bspw. am 1926 eingeweihten Ehrenmal für die Gefallenen des I. Weltkrieges in Oetzsch, welches aber leider 1948 Opfer einer sinnlosen bewussten Zerstörung wurde.
Alfred E. Otto Paul
Das Grabmal des Rauchwarenhändlers Apostolys Mpusotas
In der VIII. Abteilung des Südfriedhofes findet sich am Wegrand das Rabattengrab No.138, welches vermutlich im März 1918 der in Engelsdorf in der Bahnhofstraße No.15 wohnende Kürschner Apostolys Mpusotas erwarb. Grund für den Grabeserwerb dürfte seinerzeit der Tod des Vaters gewesen sein.
Ab dem Jahr 1923 wird Apostolys Mpusotas in der Leipziger Nikolaistraße 10 im III. Stock als Inhaber einer Rauchwarenhandlung genannt. Offenbar hatte er das Geschäft von dem bis 1922 dort an-sässigen griechischen Pelzhändler A. Moysitas übernommen. In diesen ersten Jahren seiner Selbständigkeit dürfte Apostolys Mpusotas um 1923 die etwa 15 Jahre jüngere Gerda geb. Starke geheiratet haben.
Das Grabmal wurde vermutlich im Jahre 1920, in der großen Notzeit kurz nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg, erworben und über dem Grabe errichtet. Aus Mangel an Natursteinen hat man in jenen Jahren Grabmäler oftmals aus Kunststein gefertigt. Über dem dreistufigem Sockel erhebt sich stelenartig das Grabmal, in dessen Deckstück sich frontseitig eine ovale Rahmung zur Aufnahme eines Porträts findet – sicher zeigte man hier einst das Bildnis des in diesem Grabe ruhenden Patriarchen der Familie Mpusotas.
Bekrönt wird dieses Grabmal von einer tönernen Skulptur nach dem Vorbild des im Jahre 1821 vom dänischen Bildhauer Bertel Thorvaldsen für die Frauenkirche Kopenhagen geschaffenen „Segnenden Christus“, dessen Botschaft sich im Lukas-Evangelium 24.50 findet: „Dann führte er sie hinaus bis gegen Bethanien und erhob seine Hände und segnete sie“. Es ist also der Christus Consolator, Christus der Tröster.
Wohl kaum eine Skulptur ist mehr kopiert worden, denn sie ist die „ perfekteste Statue von Christus in der Welt“, wie einst im Jahre 1896 ein amerikanischer Schriftsteller meinte.
Sie wurde vielfach – dem Original in der Kopenhagener Frauenkirche entsprechend – in Marmor gehauen, sie wurde in Bronze gegossen, als galvanotechnische Ausführung seriell gefertigt, ist auch als Zinkguss häufig und in unterschiedlichsten Größen und Qualitäten gefertigt.
Die hier vorgestellte Skulptur ist eine sogenannte „Katalogware“, und wurde, wie auch das Grabmal selbst, seriell hergestellt. In der Plinthe der Skulptur findet sich die Katalognummer 1041 der uns heute allerdings nicht mehr bekannten Werkstatt.
Die an der Front des stelenartigen Grabmals eingearbeitete Tafel aus schwedischem Syenit zeigt ein eingearbeitetes lateinisches Kreuz und die Inschrift „Familie A. Mpusotas“ – sie dürfte in den sechziger Jahren ausgetauscht worden sein gegen eine ursprüngliche Tafel gleichen Materiales, die allerdings mit den Namen der hier erstbestatteten Toten versehen war. Nach dem Tode der Gerda Mpusotas, die 1962 im Alter von sechzig Jahren starb und am 22. Juni 1962 hier beerdigt wurde, folgte schon zwei Jahre später der achtundsiebzigjährig verstorbene Gatte Apostolys Mpusotas, dessen Asche über dem Sarg der Ehefrau beigesetzt wurde.
Bereits wenige Jahre später wurde die Grabstätte für weitere Bestattungen gesperrt, weil in jener Zeit die VIII. Abteilung umgewandelt wurde in ein riesiges anonymes Grabfeld, in dem dann zehntausende Urnen namenlos verscharrt wurden.
Aber erst 45 Jahre nach der Beisetzung der Asche von Apostolys Mpusotas wurde das Grab aufgegeben. Als ein wichtiges Zeugnis der Grabkultur des ersten Viertels des zwanzigsten Jahrhunderts sollte man dieses Grabmal in seinem jetzigen Bestand erhaltend bewahren.
Alfred E. Otto Paul
Kunstwerk Archiv